2001 erschien "39,90" von Frédéric Beigbeder in Deutschland. Was man von diesem Buch, das in Frankreich für einen der üblichen Skandale sorgte, für das Leben im 21. Jh. lernen kann ist: Sich nicht auflehnen, sondern sich enthalten. So, wie Octave, der sympathisch unsympathische Held des Romans, der der Werbefirma, bei der er angestellt ist, nicht kündigen will, sondern sich lieber vom System der "zerebralen Vergiftung" feuern lassen möchte, um in den Genuss der Arbeitslosenversicherung zu kommen.
Zitiert werden sowohl Goebbels, Marx als auch die Bibel. Und trotz der reichlichen Fäkalsprache, der pornographischen Phantasien und der Publikumsbeschimpfung ist dies ein politisch sehr korrektes Buch. Die Frage ist natürlich, aus welchem Blickwinkel man das behauptet. Aus dem Blickwinkel der Aktionäre und Arbeitgebervertreter ist "39,90" sicher ein schlimmes Buch. Aus der Perspektive des zum Verbraucher degradierten Demokratiebürgers ist es eine Offenbarung, ein Versuch, ihm die Würde wiederzugeben. Denn vom Logos der abendländischen Philosophie, so der Autor, seien uns nur noch die Logos der Firmen geblieben.
Mit witzigbösen Anekdoten, unterhaltsamer Sprache und schmerzhaften Fakten geht der Text daran, das Bild einer harmlosen Globalisierung, von der alle etwas haben, ins rechte Licht zu rücken. "Barbie verkauft weltweit zwei Puppen pro Sekunde. 2,8 Milliarden Erdenbewohner leben von weniger als zwei Dollar pro Tag" oder "zwei Millionen Menschen sind 1998 [in Afrika] an Aids gestorben, vor allem weil Pharmaunternehmen wie die amerikanische Firma Bristol-Myers-Squibb [...] sich weigern, die Preise zu senken." Solche Sätze müssen nicht kommentiert werden und stehen deswegen einfach so mitten im Text, lassen einen kurz aufschauen und den Kopf schütteln, ehe man sich wieder Beigbeders mitreißenden Schilderungen hingibt.
Mitreißend sind diese Schilderungen aus der dekadenten Sicht des überbezahlten Texters nicht zuletzt wegen der temporeichen, im Werbebusiness geschulten Sprache, der dargestellten Absurditäten und der ernsten Botschaft, die dieses Buch mitbringt. Und auch das Anekdotenhafte des Romans stört nicht. Vielmehr macht es das Lesen äußerst kurzweilig, ohne dass die Spannung der erzählten Geschichte verloren geht.
Das Buch endet, wie es anfängt: in einer Enthaltung. Nur ist es jetzt eine Verweigerung dem Leben gegenüber, dem Leben, das ohnehin zum Werbetrailer verkommen war. Auflehnen kann man sich nicht, so vermittelt uns Beigbeder. Verweigerung ist die einzige Chance, denn sobald man nur irgend etwas tut, macht man mit. Das Dilemma ist, dass die Verweigerung, will sie konsequent sein, Tod bedeutet. Das weiß der Autor und so ist auch Beigbeders Buch eher eine Auflehnung als eine Verweigerung. Das sagt uns schon der zynische Titel: "39,90" war der Preis des Buches in D-Mark.
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