Buch Log
Tuesday, February 14, 2012
Matthias Politycki: Vom Verschwinden der Dinge in der Zukunft. Bestimte Artikel.
Dieses Buch wollte ich meinem Vater schenken, aber es stellte sich heraus, dass er es bereits hatte. Also nahm ich es mit - der Titel hatte mich schließlich sowieso fasziniert - und fing an, es zu lesen. Der Titel hat mich jedoch fehlgeleitet. Er klingt sehr metaphysisch und spannend. Alle Essays jedoch, die in diese Richtung (Medientheorie, Internet, Digitale Realität) gingen, waren ziemlicher Schnee von gestern. Um fair zu sein: Es ist schwer, hier etwas aussagekräftiges zu verfassen, dass auch in 10 jahren noch Sinn macht (und so alt sind die Artikel, auch wenn sie 2007 noch einmal neu aufgelet wurden). Wirklich faszinierend jedoch war der Essay Buena Revista Social Club, in dem Politycki über seine Erfahrungen bei der Rechereche zu seinem Roman Herr der Hörner berichtet. Es geht wesentlich um Religion, besonders um Palo Monte, ein dem Voodoo verwandter dunkler Kult mit Blutopfern und Flüchen. Politycki beschreibt, wie die realen Personen unter denen er recherchierte darauf bestanden, mit ihren realen Namen vorzukommen. Obwohl Palo Monte eine sehr geschlossene Religion ist, war es den Anhängern sehr wichtig, dass alles wahrheitsgetreu dargestellt wurde, nichts verfremdet oder weggelassen wurde. Das war natürlich eine nur schwer zu erfüllende Erwartung an einen Roman. Palo Monte sei ein "ausgeklügeltes Sytem des Misstrauens", sagt Politycki und eine seiner wichtigen Weisheiten sei "Vertrauen tötet den, der vertraut." (S. 211) Aus diesem Grund, bilden sich in der Religion jedoch auch keine Strukturen, die sie je zu einer politisch funktionierenden Institution reifen lassen könnte, wie etwa die Weltkirchen. Ein wirklich interessanter Artikel, der mir vor Augen führte, wie beschränkt mein Horizont ist und wie angeehm harmlos meine Wirklichkeit. Ich will auch das andere sehen, damit in Berührung kommen. Aber will ich das wirklich? Oder ist es nur Exotismus, Tourismus und eine BBC-Dokumentation, die ich wirklich will?
Monday, October 31, 2011
Grünes Geld: Das Handbuch für ethisch-ökologische Geldanlagen 2012/2013
Alternative Geldanlagen |
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Monday, October 10, 2011
Erich Feldmeier: Sonntags Reden, montags Meeting: Wie Innovationen dennoch gelingen
Ein Buch mit 7 Siegeln und 5 Schlüsseln |
Feldmeier macht sich daran, Antworten für diese Frage zu finden. Dieses Feldmeier'sche Finden ist ein abenteuerlicher und amüsanter Ritt durch die Geistesgeschichte, die Politik, Wissenschaft und Gegenwartskultur. Von Platon über Machiavelli bis zu Precht und Jamie Oliver kommen alle zu Wort. Da wird links und rechts mitgenomen, was am Wegesrand wächst. Schnipsel aus der Computerwoche genauso wie aus der Süddeutschen oder der ZEIT. Das Buch gleicht einem faszinierend (in 7 Siegel und 5 Schlüssel) geordneten Zettelkasten, in dem sich alles um die Fragen dreht: Warum handeln wir nicht vernünftig? Und: Wie kommen wir da wieder raus?
Labels:
Essay,
Feldmeier,
Philosophie,
Wissenschaft
Friday, September 30, 2011
Moga Mobo (Hrsg.): 100 Meisterwerke der Weltliteratur
Eine Rezension dieses Kompendiums ist nicht möglich: Es handelt sich um eine unstrukturierte Literaturgeschichte die, bis auf einen einführenden, die Herausgeber der "100 Meisterwerke der Weltliteratur" feiernden Absatz, ohne Wörter auskommt.
Man könnte MOGA MOBOs Unterfangen eine Literaturgeschichte ohne Wörter von einhundert namhaften Comiczeichnerinnen und Comiczeichnern vorlegen zu lassen, revolutionär nennen. Man könnte aber auch sagen, dass der Zusammenfassung von Werken wie Musils "Mann ohne Eigenschaften" in jeweils höchstens acht Comic Panels ohne Sprache ein alter pervertierter bildungsbürgerlicher Gedanke zugrunde liegt: Man muss die Handlung eines Textes kennen, um mitreden zu können. Die Sprache bleibt außen vor. Wir kennen das aus der Zeit unseres Abiturs, wo wir die Handlung von "Der Schimmelreiter" in möglichst knappen Werkzusammenfassungen nachlasen, um für die Klausur zu wissen, was der Storm uns sagen will. Wir haben eine gute Note bekommen, des Dichters Sprache aber blieb uns verborgen.
Man könnte MOGA MOBOs Unterfangen eine Literaturgeschichte ohne Wörter von einhundert namhaften Comiczeichnerinnen und Comiczeichnern vorlegen zu lassen, revolutionär nennen. Man könnte aber auch sagen, dass der Zusammenfassung von Werken wie Musils "Mann ohne Eigenschaften" in jeweils höchstens acht Comic Panels ohne Sprache ein alter pervertierter bildungsbürgerlicher Gedanke zugrunde liegt: Man muss die Handlung eines Textes kennen, um mitreden zu können. Die Sprache bleibt außen vor. Wir kennen das aus der Zeit unseres Abiturs, wo wir die Handlung von "Der Schimmelreiter" in möglichst knappen Werkzusammenfassungen nachlasen, um für die Klausur zu wissen, was der Storm uns sagen will. Wir haben eine gute Note bekommen, des Dichters Sprache aber blieb uns verborgen.
Frédéric Beigbeder: 39,90
"Kennt ihr den Unterschied zwischen Arm und Reich? Die Armen verkaufen Drogen, um sich Nikes zu kaufen, und die Reichen verkaufen Nikes, um sich Drogen zu kaufen." So schlagwortartig sind viele der Analysen, die Beigbeder uns gibt. Dass dabei keine soziologisch differenzierten Gesellschaftsbilder entstehen, ist klar. Und darum kann es in dem Buch ja auch nicht gehen. Was hier gelingt, ist vielmehr die Darstellung eines Beispiels stellvertretend für die übergreifenden Mechanismen. Seine Drastik und daher seine Wirksamkeit bezieht "39,90" aus der grellen Fiktion, die leider doch wahr sein könnte und deren reale Entsprechungen sich täglich zwischen uns abspielen.
Tuesday, September 27, 2011
William Styron: Sturz in die Nacht
William Styrons Buch Darkness Visible (Sturz in die Nacht: Die Geschichte einer Depression) ist ein autobiographischer bis wissenschaftlicher Aufsatz über Depression. Es ist die fesselnde Erzählung von einem, der in die tiefsten Abgründe seiner Seele hinabstieg und der wiederkehrte, um davon zu erzählen. Mit grausamer Genauigkeit berichtet er vom schlimmen auf und ab des täglichen und hoffnungslosen Höllenritts, von der Unsinnigkeit des vegetierens. Besonders die Unfähigkeit, sich den normalsten Tätigkeiten, Gesprächen oder auch nur dem Licht des Tages auszusetzen, ist erschütternd. Freunde, Familie, Kollegen - sie sind da, aber dringen nicht durch. Sinnzusammenhänge gehen verloren, man muss da raus, bevor es einen zerstört. Styron hat es geschafft.
Styrons Sprache ist so literarisch, wie es sich für einen Pulitzer Prize-Träger gehört. Als Poet kommt er nicht umhin, gegen den Begriff Depression zu protestieren: "Depression, wie die meisten wissen werden, hieß zuerst 'Melancholie', ein Wort, dass im Englischen bereits im Jahr 1303 auftaucht und immer wieder auch bei Chaucer vorkommt, der sich in seinem Gebrauch offenbar den pathologischen Nuancen bewusst war. 'Melancholie' scheint immer noch ein viel zutreffenderes und ausdrucksstarkes Wort für die schwärzeren Formen der Krankheit zu sein, doch wurde es überwältigt von einem Substantiv mit fader Tonalität, ohne jede gebieterische Präsenz, ohne Unterschied gebraucht für eine ökonomische Krise oder geologische Unebenheiten, ein wahrer Kümmerling für eine so bedrohliche Krankheit." (Übersetzt nach William Styron, Darkness Visible, London 2004, S. 36)
Styron meint, dass die Harmlosigkeit des Wortes Depression, an der John Hopkins Medical School vom Schweizer Adolf Meyer geprägt, mit daran Schuld sein könnte, dass die Krankheit lange Zeit so wenig Beachtung fand. Styron beklagt auch, dass das Wort "Brainstorm" bereits für schnöde Ideenentwicklung vergriffen ist, denn es passe hervorragend, auf das, was er erlebte, wenn seine Stimmungstiefs außer Kontrolle gerieten. Das Wort Depression scheine in den Menschen ein Schulterzucken hervorzurufen: "Na und, wir haben doch alle mal einen schlechten Tag."
Styron beschreibt seinen ganz persönlichen Kampf gegen die Krankheit, die Auf und Abs, das (Un-)Verständnis der Freunde, die Hoffnung und die Stürze in die Nacht ohne Worte. Das ist die Leistung Styrons, dass er eine Sprache findet für dieses unaussprechlichste aller Grauen.
Styrons Sprache ist so literarisch, wie es sich für einen Pulitzer Prize-Träger gehört. Als Poet kommt er nicht umhin, gegen den Begriff Depression zu protestieren: "Depression, wie die meisten wissen werden, hieß zuerst 'Melancholie', ein Wort, dass im Englischen bereits im Jahr 1303 auftaucht und immer wieder auch bei Chaucer vorkommt, der sich in seinem Gebrauch offenbar den pathologischen Nuancen bewusst war. 'Melancholie' scheint immer noch ein viel zutreffenderes und ausdrucksstarkes Wort für die schwärzeren Formen der Krankheit zu sein, doch wurde es überwältigt von einem Substantiv mit fader Tonalität, ohne jede gebieterische Präsenz, ohne Unterschied gebraucht für eine ökonomische Krise oder geologische Unebenheiten, ein wahrer Kümmerling für eine so bedrohliche Krankheit." (Übersetzt nach William Styron, Darkness Visible, London 2004, S. 36)
Styron meint, dass die Harmlosigkeit des Wortes Depression, an der John Hopkins Medical School vom Schweizer Adolf Meyer geprägt, mit daran Schuld sein könnte, dass die Krankheit lange Zeit so wenig Beachtung fand. Styron beklagt auch, dass das Wort "Brainstorm" bereits für schnöde Ideenentwicklung vergriffen ist, denn es passe hervorragend, auf das, was er erlebte, wenn seine Stimmungstiefs außer Kontrolle gerieten. Das Wort Depression scheine in den Menschen ein Schulterzucken hervorzurufen: "Na und, wir haben doch alle mal einen schlechten Tag."
Styron beschreibt seinen ganz persönlichen Kampf gegen die Krankheit, die Auf und Abs, das (Un-)Verständnis der Freunde, die Hoffnung und die Stürze in die Nacht ohne Worte. Das ist die Leistung Styrons, dass er eine Sprache findet für dieses unaussprechlichste aller Grauen.
Monday, September 19, 2011
Georg Schramm: Lassen Sie es mich so sagen
Dombrowski deutet die Zeichen der Zeit - Was soll man zu Schramm noch sagen, ein Genie. Ein Mann, der sich in der Tagespolitik genauso auskennt, wie in der Geschichte. Und dabei ist er gar nicht lustig, sondern nennt die Dinge rücksichtslos beim Namen. Oder findest du das lustig: Interessensverbände machen die Politik. Die ziehen die Fäden, an denen politische Hampelmänner hängen, die uns auf der Bühne der Berliner Puppenkiste Demokratie vorspielen dürfen. Diese Politfiguren dürfen dann in den öffentlich-rechtlichen Bedürfnisanstalten bei den Klofrauen Christiansen und Illner ihre Sprechblasen entleeren. Und wenn bei der intellektuellen Notdurft noch was nachtröpfelt, dann können sie sich bei Beckmann und Kerner an der emotionalen Pissrinne unter das Volk mischen. Das ist doch nicht lustig, sondern einfach nur korrekt beobachtet. Ich habe mir jetzt auch das aktuelle Hörbuch Meister Yodas Ende gekauft. Vom zornigen Schramm krieg ich nicht genug.
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